Jahrbuch Yearbook 2013, DARCH ETH Zürich (Hrsg.) / Andrea Deplazes, Andreas Kohne

Bautiefe und Wohnungsbau

Die Bautiefe ist eine der wichtigsten Grössen, die Einfluss auf die Grundrissdisposition im Wohnungsbau nehmen, sie wird aber in ihren Auswirkungen oft unterschätzt. Hierzu einige Ansatzpunkte für grundsätzliche Überlegungen:

 

Tageslicht

Die Gebäudetiefe provoziert unmittelbar Fragen nach der maximalen Tiefe natürlich belichteter Räume. Nach einer einfachen Faustregel («Schulhaus-Norm») gelangt bei einer lichten Geschosshöhe von 3m gerade noch ausreichend Tageslicht in einen Raum von maximal 7m Tiefe. Somit kann bei Bauten mit geringer Tiefe eine einseitige Orientierung der Wohnungen für die Belichtung genügen. Bei zweiseitigem Tageslichteinfall kann die Gebäudetiefe, bei entsprechender Geschosshöhe, 14 m betragen. In diesem Fall muss die Belichtung der Wohnung über beide Fassaden erfolgen. Daraus ergibt sich unmittelbar die Frage nach der Orientierung der Räume nach aussen. Bei noch grösserer Bautiefe tritt daher zwangsläufig die «dunkle Zone» in der Wohnungsmitte in den Fokus der Überlegungen, ebenso die direkten Auswirkungen auf Anordnung und/oder Höhe der Wohnung.

 

Erschliessung

Auch die Erschliessung innerhalb eines Gebäudes, ob horizontal oder vertikal, hängt unmittelbar mit der Disposition der Wohnungen und der Bautiefe zusammen. Eine zentrale, punktuelle Vertikalerschliessung beeinträchtigt die zweiseitige Ausrichtung der Wohnungen nicht. Sie eignet sich bei grösseren Gebäude tiefen, um die dunkle Mittelzone zu nutzen und ein effizientes Erschliessungsprinzip zu etablieren. Allerdings lassen sich so nur wenige Wohnungseinheiten pro Geschoss anbinden. Das Prinzip des horizontalen Laubengangs bietet sich bei einseitig orientierten Wohnungen an, da eine der Fassaden per se «geschlossen» ist und daher das Problem der Beeinträchtigung der Privatsphäre entfällt. Der Laubengang kann viele Wohnungseinheiten pro Geschoss bedienen, effizient ist er jedoch nur, wenn diese nicht allzu grossflächig sind. Darüber hinaus sind Anforderungen an das behindertengerechte Bauen sowie an den Brandschutz hinsichtlich der Fluchtwegverteilung zu berücksichtigen.

 

Tragwerk

Bei geringer Gebäudetiefe lassen sich die Geschossdecken problemlos über die Aussenwände abtragen. Bei tieferen Bauten wird die Spannweite von Fassade zu Fassade zu gross, es kommt das Prinzip durchgehender oder aufgelöster Schotten oder der im Wohnbau weit verbreiteten «Raum-Kammerung» zur Anwendung. Grundsätzlich gilt es zu erörtern, ob die raumbildenden Wände tragend sein müssen oder ob sich die vertikale Tragstruktur auch unabhängig von der Raumstruktur beispielswiese auf ein System von Stützen reduzieren lässt, wodurch nicht nur die Raumdisposition in der Planung «flexibler» wäre, sondern auch der Öffnungsgrad der Fassaden. Daraus ergeben sich wiederum Fragen nach dem Grad der Belichtung und nach Massnahmen zur Beschattung.

 

Infrastruktur

Die Infrastrukturerschliessung, die haustechnische Ver- und Entsorgung, wird im gekammerten Wohnungsbau vertikal hauptsächlich mit sogenannten Steigzonen gelöst, um aufwendige Horizontalverteilungen möglichst zu vermeiden. Küchen, Bäder und Toiletten liegen daher nahe an jeweils einzelnen, klein dimensionierten Vertikalsträngen. Offene Strukturen hingegen zwingen zu einer intensiven horizontalen Verteilung, wie sie etwa für den Bürohausbau typisch ist. Dafür können die Steigzonen gebündelt und auf wenige, periphere oder bei Fluchttreppen angeordnete Schächte reduziert werden. Diese Faktoren bestimmen Grad und Art der Flexibilität

beim Bau von Wohnungen.

 

Typus

Die bisherigen punktuell dargelegten Parameter wirken vor- und rückkoppelnd in gegenseitigem Wechselspiel, sodass sich schnell ein hoher Grad an Komplexität im Entwurfsprozess einstellt und daraus je nach Gebäudetiefe charakteristische Typen von Wohnungen resultieren. Die Eigenschaften der Typen sind intrinsisch, sie ergeben sich aus einer inneren Logik und nicht durch den äusseren Einfluss eines unmittelbaren Kontexts. Betrachtet man die Spezifik und die Zahl an Wohnungstypen bei Bauten mit minimaler (6 m) bis sehr grosser Tiefe (30m) im Überblick, wird deutlich, dass unterschiedliche typologische Bandbreiten vorliegen. Wo sie sich überschneiden, an den kritischen Schwellen, kristallisieren sich sofort neue Typen heraus, während innerhalb der Bandbreiten jeweils vielfältige Variationen entstehen. • Text: Andrea Deplazes, Andreas Kohne

 

Bautiefe Wohnen ETH DARCH Jahrbuch Kohne Deplazes

Jahrbuch / Yearbook 2013, Departement Architektur, ETH Zürich (Hg.), Zürich: gta Verlag. ISBN: 978-3-85676-327-5

 

Ausgewählte Arbeiten von Studierenden sowie Beiträge aus Lehre und Forschung der Architekturschule der ETH Zürich.

 

PDF Bautiefe und Wohnungsbau

© Andreas Kohne