Auf beiden Seiten des Bahnhofs Schlieren wird die Stadt umgebaut. Nördlich der Gleise entsteht aus ehemaligen Industriearealen das neue Quartier «am Rietpark». Für das zentrale Baufeld B3 geht das Projekt von Clou Architekten mit Wohn- und Gewerbenutzungen als Sieger hervor.
Aufmerksame Zugreisende haben festgestellt, dass sich das Gebiet nördlich des Bahnhofs Schlieren in den letzten Jahren frappant verändert hat. Der grosse industriegeprägte Bereich, bestehend aus dem einstigen Färbi-Areal mit Textilfärberei im Westen und dem östlich gelegenen Geistlich-Areal mit der Produktion von Klebstoffen, wurde zum neuen Quartier «am Rietpark». Nachdem die Produktionen in den 1990er-Jahren eingestellt worden waren, entwickelten die Grundeigentümer gemeinsam einen grundstücksübergreifenden Massnahmenkatalog, private Gestaltungspläne als Grundlage für eine nachhaltige Transformation und Aufwertung des gesamten Areals. Eine Reihe von Bauten wurde bereits realisiert. Für das Baufeld B3, heutiger Standort der Tennishalle, fand ein selektiver Studienauftrag statt.
Tor zum Rietpark-Quartier
Dem Baufeld B3 war im Gestaltungsplan eigentlich keine ikonografische Rolle im neuen Quartier zugedacht, doch wegen seiner Grösse und der prominenten Lage unmittelbar an der Bahnlinie nimmt das Areal eine besondere Stellung ein. Das Baufeld mit seiner direkten Anbindung an den Bahnhof wird zum wichtigen Ankunftsort und zum Eingang in das neue Stadtquartier und den Rietpark. Programmatisch hat sich die Grundeigentümerin, die Geistlich Immobilia, dafür entschieden, die üblichen Wohn- und Gewerbenutzungen durch ein markttaugliches, öffentlichkeitswirksames Raumprogramm mit Cafébar, Concierge, Gasthaus, Läden und einer multifunktionalen Halle anzureichern, um einen möglichst attraktiven und anregenden Ankunftsort entstehen zu lassen.
Grossform oder Durchgang mit Bebauungen
Im Rahmen einer Präqualifikation wurden für den zweistufigen Studienauftrag zehn Planungsteams ausgewählt und eingeladen. Nach jeweils zwei Zwischenbesprechungen und anschliessenden Rückmeldungen fand die Jurierung statt. In der Schlussrunde standen vier Projekte in der engeren Auswahl; zwei Grossformen mit einer Randbebauung und einem grossen Innenhof und zwei Beiträge, die das Baufeld mit einem Durchgang in zwei Bereiche unterteilen.
Der Entwurf von Dürig/Bruther/Kuhn schlägt den grossen Massstab vor und setzt ein grosses neues Blockrandgebäude mit Innenhof in die übergeordnete Reihe grosser Bauten entlang der Bahnlinie. Durch das Aufständern des Gebäudes ergibt sich ein offenes und durchgehendes Erdgeschoss, und es entsteht ein direkter Zugang zum Rietpark. Das Innere des Blockrands wird gleichzeitig zur räumlichen Fortsetzung des Parks.
Ebenfalls eine markante Hoffigur schlägt das Team Caruso St John Architects & Ghiggi Paesaggi Landschaft vor. Ein breiter Weg mit sockelhohen Durchgängen führt als öffentlicher Durchgang durch den stimmungsvollen und lärmberuhigten Hofraum. Dieser wird geprägt durch die umlaufenden Holzbalkone und vermittelt zwischen dem Gleisfeld und dem Rietpark.
Das Planungsteam Gut & Schoep mit Bryum unterteilt das Baufeld mit einem zentralen, öffentlichen Durchgang. Beidseits davon kommen zwei Gebäude zu liegen mit mäandrierender Gebäudezeile und ähnlich proportionierten Höfen. Dadurch wird der Massstab der umliegenden Baufelder wieder aufgenommen. Ein kleiner Platzraum bildet den Auftakt des öffentlichen Durchgangs, der seitlich von Gewerbe- und Hallennutzungen gesäumt wird.
Blockrandfragmente und «Gassenknoten»
Der Beitrag von Clou Architekten mit Atelier Oriri Landschaftsarchitekten konnte die Jury am meisten überzeugen. Die Verfassenden schlagen vor, zwischen zwei Blockrandfragmenten einen sogenannten «Gassenknoten» einzufügen, der als öffentlicher Durchgang fungiert und gleichzeitig räumlich zwischen den beiden Höfen, dem privaten Hofgarten und dem Atelierhof, vermittelt. Bahnseitig wird der Knoten mit einem Pförtnerhaus und parkseitig mit einem Hallenhaus verortet. Beide Häuser mit ikonografischer Dachform enthalten öffentliche Nutzungen und werden den Ort entsprechend beleben.
Auch für die Grundrisse der Standardwohnungen wird eine Art Knoten oder Gelenkraum vorgeschlagen. Durch verschiedene Interpretationen dieses Raums entstehen angepasst an äussere Einflüsse wie Lärm, Licht und Aussicht verschiedene Wohnungstypen. Mal wird der Raum Teil der grossen Essküche, mal erweitert er den Wohnraum gegen Süden und schafft eine Verbindung von Fassade zu Fassade, oder aber er wird zum Schrank und macht damit das Wohnzimmer als Individualzimmer nutzbar. Räumlich passiert die Veränderung durch einfaches Einfügen, Verschieben oder Weglassen von Einbaumöbeln und Leichtbauwänden. Die Konstruktion und Materialwahl wurden gezielt auf die Funktionen abgestimmt. Mit dem vorgeschlagenen Holzbau wird ein hoher Anteil an erneuerbaren und CO2-armen Materialien erreicht.
Spezielle Herausforderungen
Alle eingereichten Beiträge zeigten, wie vielschichtig die Themen und wie komplex die Aufgabe für die Planungsteams waren. Vor dem Hintergrund des übergeordneten Gestaltungsplans waren den besonderen Bedingungen des Kontexts, der Aufgabe und den Anforderungen hinsichtlich Ökologie und Ökonomie gebührend Rechnung zu tragen und das optimale Mass an Bebauungsdichte auszuloten. Es galt dabei insbesondere auch für das grosse Thema des Bahnlärms grundsätzliche und tragfähige Lösungen zu finden. Besonders anspruchsvoll war es, die Grundrisse der gut 350 Wohnungen trotz ihren knappen Flächen so zu gestalten, dass sie bei Bedarf auch überbelegt und durch Haushalte mit knappem Budget genutzt werden können. So lassen sich beispielsweise beim Siegerprojekt die 2-Zimmer-Wohnungen mit grosser Küche zum Gartenhof auch von zwei unabhängigen Personen als kleine Wohngemeinschaft bewohnen, ganz nach dem angestrebten Prinzip der Suffizienz. • Text: Andreas Kohne
Schweizerische Bauzeitung – TEC21, 2021, Heft Nr. 40, PDF
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