Halle 180plus 2019, ZHAW (Hrsg.) / Andreas Kohne

Retrospektive mit Blick in die Zukunft

ZHAW Ausstellung Forum Architektur Winterthur Retrospektive, Andreas Kohne
Illustration ZHAW

Das Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen der ZHAW präsentierte im Herbst 2017 eine vielfältige Retrospektive im Architekturforum Winterthur. Gezielt ausserhalb der Schule wurde einer interessierten Öffentlichkeit unter dem Titel Arbeiten an der Stadt eine Auswahl von Studierendenarbeiten gezeigt, die sich intensiv mit der Stadt Winterthur auseinandergesetzt hatten. Anlässlich der abschliessenden Podiumsveranstaltung wurde die polarisierende Frage diskutiert, welche Rolle das Departement bei der Stadtentwicklung spielen könnte.

 

Mit Stolz blickt das Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen auf eine geschichtsträchtige Vergangenheit zurück. Seit 1874 spielt die Verbundenheit zum Ort eine zentrale Rolle und macht die Schule zu einer der traditionsreichsten, grössten und innovativsten Ausbildungsstätten ihrer Art in der Schweizer Fachhochschullandschaft. Die Sulzer-Stadt, speziell die Halle 180, dient der Hochschule mit ihren Studierenden und Dozierenden als einzigartiges Arbeitsumfeld für Lehre, Forschung und Weiterbildung. Die Schule wiederum prägt durch Belebung und Transformation das Sulzerareal und macht die Umgebung zu dem attraktiven Ort, der er heute ist.

 

Arbeiten an der Stadt

Die permanente Auseinandersetzung der Hochschule resp. der angehenden Architektinnen und Architekten mit dem Ort und speziell mit der Stadt Winterthur führte zur Idee einer Retrospektive im Forum Architektur Winterthur. Der ursprüngliche Titel der Ausstellungsreihe Arbeitsstadt: Winterthur wurde kurzerhand in Arbeiten an der Stadt umbenannt. Gesucht waren Beiträge aus den letzten rund zehn Jahren, die sich auf verschiedenste Weise mit der Stadt Winterthur auseinandergesetzt hatten.

Beim Zusammenstellen der Arbeiten zeigte sich, dass der angesammelte Fundus an Semester- und Forschungsarbeiten riesig, wenn auch nicht immer leicht zugänglich ist. Es manifestierte sich, dass die Auseinandersetzung mit der Stadt als Ort der Untersuchung, als konkretem Kontext oder als didaktischem Modell intensiv stattfindet und im Rahmen der Ausbildung auf allen Stufen umfassend behandelt wird. Gleichzeitig wurde erkennbar, dass die Stadt Winterthur mit ihrer vielschichtigen Bau- und Quartiersstruktur eine ideale Ausgangslage für viele wichtige und lehrreiche Diskussionen bietet; vom Bauen in der dichten Altstadt über den Umgang mit ehemaligen Industriehallen bis hin zur Weiterentwicklung der Stadtränder oder der Neuinterpretation von Gartenstadtquartieren.

 

Herausragende Arbeiten und Ideen

In der Ausstellung dominierten ein grosser Stadtplan von Winterthur und eine Vielzahl grösserer und kleinerer Modelle das Erdgeschoss des Architekturforums. Auf dem einprägsamen Plan wiesen violette Punkte unterschiedlicher Grösse auf die zahlreichen Bearbeitungsfelder hin, die in den letzten rund zehn Jahren am Departement für Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen in Winterthur und näherer Umgebung bearbeitet und untersucht wurden. Die grossen Punkte entsprachen Semesterarbeiten, die im Rahmen des Bachelor- oder Masterstudiums entstanden sind, die kleinen Punkte standen für individuelle Vertiefungsarbeiten anlässlich von frei gewählten Thesis-Arbeiten oder für Forschungsprojekte, die an den beiden Instituten bearbeitet wurden. Neben der Stadtkarte verwiesen auch die farbigen Titelbilder der Semesterbroschüren auf die Themen und Studierendenarbeiten, die in der Ausstellung zu sehen waren. Im Obergeschoss des Forums reihte sich die Ausstellung um die lange, mittig angeordnete und raumprägende Ausstellungswand. Geordnet nach Jahreskursen und Aufgabenstellungen, die jeweils kurz erklärt wurden, hing dort eine Auswahl von exemplarischen und herausragenden Studierendenarbeiten, wobei Pläne und Bilder direkt auf die Ausstellungswand aufgezogen waren. Im Rücken zur Ausstellungswand und entlang der Fensterreihe waren auf langen Tischen die gebundenen Broschüren der Master-Thesis-Arbeiten zum Durchblättern aufgelegt. Daneben standen Bildschirme, die als weiteres Darstellungsmedium animierte Bilddarstellungen und Kurzfilme von Studierenden zeigten.

 

Vom einfachen Musikpavillon bis zum Leitbild

Der erste Jahreskurs des Bachelorstudiengangs zeigte aus dem Fach „Grundlagen Entwerfen und Konstruieren“ neben dem „Haus für Sport“ auch Arbeiten für einen Ausstellungspavillon im Stadtgarten. Aus dem Fach „Grundlagen Konstruktives Entwerfen“ wurden Vorschläge für Musikpavillons im Rychenbergpark präsentiert, die mit dem Fokus Material und Konstruktion erarbeitet worden waren. In Glasvitrinen und auf Monitoren wurden die erfrischenden Zeichnungen und Beiträge gezeigt, die unter dem Titel „Delirious City“ in „Gestalten und Visualisieren“ entstanden sind. Grundlagen Urban Landscape präsentierte interessante Arbeiten, die verschiedenste Arbeitswege durch die Stadt Winterthur dokumentierten. Aus dem zweiten Jahreskurs waren Projekte zu sehen, die sich vertieft mit dem Thema Wohnen und Umnutzen des Sulzer-Hochhauses auseinandergesetzt hatten. Auch die bereits einmal im Forum gezeigten und kontrovers diskutierten Vorschläge für die Gestaltung der Zürcherstrasse fehlten nicht. Der Masterstudiengang mit dem Institut Urban Landscape (IUL) war mit Arbeiten aus dem Masterstudio „Stadtmaschinen Winterthur Grüze“ sowie „Oberwinterthur – Wege in die Zukunft“ vertreten. Das Institut für Konstruktives Entwerfen (IKE) pr.sentierte Projektvorschl.ge für das Sulzerareal, die unter dem aktuellen Schwerpunkt „lowtech – high sustainability“ entstanden sind. Bei den Master-Thesis-Arbeiten gingen die Themen der individuellen Auseinandersetzung von der Backsteinfassade im Sulzerareal bis hin zur Zukunft in Kemptthal. Aus dem Bereich Forschung wurde das räumliche Leitbild für Oberwinterthur präsentiert sowie die Brücke über die Eulach, die als Prototyp 2016 mit CPC-Betonplatten (carbon prestressed concrete) gebaut wurde. Alle diese Arbeiten aus Lehre und Forschung wurden ergänzt durch eine Fotoarbeit von Christian Schwager, Dozent an der ZHAW, der verschiedene Achsen durch Winterthur in einer Reihe von grossformatigen Bildern festgehalten hat.

Mit der Ausstellung ist es gelungen, einer interessierten Öffentlichkeit eine Vielzahl von Denkansätzen, Projektideen und unterschiedlichen Diskursen des Departements zu präsentieren. Die Retrospektive ausserhalb der Schule gab einen Einblick in den riesigen und wertvollen Fundus, der in den letzten zehn Jahren unabhängig voneinander und ohne übergeordnetes Konzept entstanden ist. Die sehr starke Verbundenheit der Schule und ihrer Vorgängerinstitutionen zu Winterthur wurde dabei immer wieder spürbar. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Hochschule zu Fragen der aktuellen Stadtentwicklung von Winterthur impulsgebende Ideen erarbeiten und so wertvolle Beiträge leisten kann.

 

Kritisch vorausdenken

Das Interesse an der Podiumsveranstaltung vom 25. Oktober 2017 war gross, was vielleicht auch mit dem ersten offiziellen Auftritt des neuen Stadtbaumeisters von Winterthur, Jens Andersen, zu tun hatte. Nach einer kurzen Einführung der Direktorin Oya Atalay Franck mit einem Bekenntnis zum Standort Winterthur folgten drei prägnante Input-Referate von Dozierenden. Stephan Popp wünschte sich dabei unter anderem einen verstärkten Austausch zwischen Schule, Stadt und Forum Architektur, um schlummernde Potenziale von Winterthur aufzugreifen. Astrid Staufer sah die grosse Chance der Schule darin, dass im Rahmen der Lehre gewisse reale Bedingungen unterdrückt und der Fokus auf spezifische Themen gerichtet werden könne. Die gewonnenen Erkenntnisse und Resultate müssen dabei nicht vollumfänglich den heutigen Perfektionswahn erfüllen. Stefan Kurath berief sich in seinen Ausführungen auf die nicht nur positiven Erfahrungen, die er mit dem IUL bei der Entwicklung des Leitbildes Oberwinterthur gemacht hat. Er hielt fest, dass Stadtentwicklung nicht immer zu allem ja sagen könne, sondern dass Architektinnen und Architekten in diesem Zusammenhang auch mal kritisch nein sagen müssten. Potenzial der Schule nutzen Die anschliessende Diskussion mit Stadtbaumeister Jens Andersen, Gemeinderatspräsident Felix Landolt, Studienleiter Architektur Beat Waeber und Präsident des Forum Architektur Winterthur Christoph von Ah wurde von Martin Tschanz moderiert. Ausgehend von den hochstehenden Ausstellungsbeiträgen wurde klar, dass auf der einen Seite aus dem grossen Engagement der Schule sehr professionelle Leistungen und sehr wertvolle Beiträge für die Stadt resultieren. Auf der anderen Seite wurde im Laufe der Diskussion deutlich, dass die wachsende Stadt Winterthur mit ihren Strukturen und pragmatischen Ansätzen vor einigen grösseren Herausforderungen steht. Allgemein war von beiden Seiten eine gewisse Aufbruchsstimmung zu spüren, und es kristallisierte sich der Wunsch heraus, den gegenseitigen Austausch und Erkenntnistransfer zwischen Schule und Stadt zu verbessern und in einem Jahr eine weitere Bilanz zu ziehen. Wir sind gespannt. • Text: Andreas Kohne

 

ZHAW Halle 180plus Andreas Kohne

ZHAW (Hrsg.): Halle 180plus 2019. ISBN: 978-3-033-07187-2 

Digitale Ausgabe Publikation Halle 180plus

"Die vorliegende Publikation dokumentiert das in den letzten zwei Jahren Geleistete. Sie zeigt auch, wie sich die Schule immer wieder nach aussen öffnet und sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt (…)."

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© Andreas Kohne